und beginnt ein neues Gespräch. Dies wiederholt sich einige Male.)
22.00 »Sowohl die Umwelt als auch die Formen auf dem Blatt sind zu übertrieben, um etwas zu arbeiten. Aber mir bestätigt sich nur, was ich sonst auch kenne. - Das Papier sieht aus wie meine eigene Haut. (Beginnt Blatt 2.) Ich bin mittendrin in der Fahrt. Muß mich zum Malen zwingen — nein, es geht jetzt ganz von selbst. Ich bin sehr konzentriert und aufs Malen eingestellt. (Beklagt die Enge des Raumes:) Sie stört mich schon normalerweise, aber jetzt ganz besonders. - Sie betrachten mich wie einen gefangenen Löwen!«
22.10 Beendet Blatt 2. »Ich glaube, es ist gut geworden, aber ich will es erst morgen beurteilen. Ich bin sonst sehr geschickt, jetzt fällt mir alles schwer. Ich habe mehr Hemmungen als sonst, aber das ist gut, sehr gut. Das ist der Kernpunkt meiner Arbeiten: diese Spannung zwischen höchster Aktivität und vielen Hemm-Mecha- nismen. - Die Selbstkritik scheint mir auch sehr gesteigert, aber ich bin dessen natürlich nicht sicher. — Ich glaube, die malerische Idee, die ich seit Tagen mit mir herumtrage, und dieser Zustand treffen sich ganz gut.«
22.20 Beginnt Blatt j. Konzentriert sich lange auf das Blatt und arbeitet dann intensiv. »Ich bin jetzt ganz klar. Viele Momente von Gegenwart und Vergangenheit fallen jetzt zusammen. — Man kann schon gut arbeiten, muß sich eben bloß an seine Technik halten. (Beendet Blatt 3.) O.K!«
22.30 Malt Blatt 4. »Na ja, gut. Ich könnte noch lange weiter arbeiten, aber andere Dinge, z. B. der Blick auf Stuttgart, interessieren mich jetzt mehr.«
Zusammenfassung
Veränderungen des Zeiterlebens unter der Einwirkung von LSD sind sehr häufig zu registrieren. Ähnlich wie im Traum können verschiedene Zeitebenen (»Momente von Gegenwart und Vergangenheit«) verschmelzen oder als getrennte Phänomene gleichzeitig erlebt werden. Fehleinschätzungen des zeitlichen Ablaufs wurden von Sonderborg rasch bemerkt. Sein künstlerisches Problem ist die genormte Zeit, in die sich die subjektiv erlebte einfügen muß. In dieser jeweils kurzen Spanne entstehen seine Bilder. Die äußeren Einflüsse werden sehr stark wahrgenommen und sind mitbestimmend für die Entstehung eines Bildes. Sonderborg, der ein ganzes Arsenal von Pinseln und Bürsten für die bevorstehende Malaktion bereithält, geht gleich einem gefangenen Tier im Käfig auf und ab: Wie vor einem Angriff wird der Ablauf durchdacht. Oft wartet er Stunden, ja einen ganzen Tag auf das innere Zeichen zur bildnerischen ‘Entladung’; die Malaktion selber dauert dann meist nur Minuten oder Sekunden. Unter LSD führen die Veränderungen des Zeitgefühls sowie die halluzinatorischen Umdeutungen zu Veränderungen und Umwandlungen der künstlerischen Impulse, nicht aber zu deren Aufhebung. Aktivität und Hemmung, beides gleich wichtige Momente des künstlerischen Gestaltungsprozesses bei Sonderborg, treten modifiziert auf, während Form und Inhalt der Bilder sich nicht wandeln.
21 Gisela Breitling
Geb. 1939 in Berlin, nach Abschluß des Realgymnasiums in Lindau Druckereipraktikum und Lehre als Musterzeichnerin, 1960-62 Studium an der Textilingenieurschule Krefeld bei E. Kadow, Meisterklasse für Textilkunst, Abschluß mit Diplom, 1962 Reisestipendium nach Rom und Florenz, Immatrikulation an der Berliner Hochschule für bildende Künste (Prof. Jaenisch), ab 1963 Studium bei Prof.Stabenau. Lebt als freischaffende Malerin und Grafikerin in Berlin.
Einführung
Die Titel einiger Arbeiten von Gisela Breitling aus den letzten Jahren sind bezeichnend: Die Puppen der Infantin, Madame du Mort, Die Blume von Utopia, »Der Todesstrand». Man mag angesichts solcher Themen an die Präraffaeliten oder die Symbolisten denken, doch das Werk der Breitling ist frei von historisierenden Tendenzen dieser Art; allenfalls präsentiert es geschichtliche Gleichnisse als matten Firnis von Anachronismus, von Rückzug in etwas angestaubte Vergangenheit. Die spröde Erdhaftigkeit ihrer Bilder ist fern von durchlebter Traumwirklichkeit. Sie zielen auch nicht auf Bewußtmachung durch schockhafte Verfremdung, etwa in dem Sinne, in dem Peter Collien psychopathologische Verhaltensweisen mit einer scheinbar heilen Umwelt konfrontiert hat - obgleich Gisela Breitling von Collien, mit dem sie lange befreundet war, den strukturellen Bildaufbau übernommen hat. Sie wendet sich weniger an die Ratio des Betrachters als an einen somato-psychischen Bereich, in dem das Bild zum ästhetischen Fetisch werden mag, zum Objekt einer lustvollen Identifikation. Deshalb wirken ihre Bilder ‘unvollständig’, sie bedürfen der eigenen Dimension des Betrachters: indem er agiert, sich gleichsam in sie hineinbegibt, komplettieren sie sich.
Analog dazu hatte der Versuch Breitling vor allem somatische Erscheinungs- und Erlebnisformen. Darunter sind hier nicht die zahlreichen vegetativen Beschwerden zu verstehen, sondern sehr komplexe körperlich-seelische Qualitäten. Die beabsichtigte Wirkung ihrer Bilder: eine rein ästhetische und eine psycho-physische, stellte sich bei ihr selber unter dem Angriff der Droge ein. Zu registrieren waren einerseits isoliertes, sexuell betontes Erleben und andererseits dessen adäquate Darstellung im Prozeß des ‘Magischen Malens’.
Über meinen Versuch (Gisela Breitling)
»Eine bekannte Erfahrung: Wenn man auf einer Ebene den Kopf auf die Erde preßt, geht die Fähigkeit verloren, die Größe von Personen zu bestimmen. Am Sandstrand habe ich es ausprobiert: Erwachsene und spielende Kinder waren gleich groß.
Im Tiergarten spazieren gehen und die Bäume betrachten . . ., denn man ist klein und zugleich größer als die Bäume - man mißt ihre Zwischenräume, man fliegt hindurch, über sie hinweg. Wie das geöffnete Fenster in den Raum hineinsteht, wie es die Luft zu beiden Seiten zerteilt, wie es auf einen zustößt durch den Raum hindurch!
Und da sind nun Bäume, von denen man endlich weiß, daß es Pflanzen sind. Zähe, unnachgiebige, geduldige, krause, irrsinnige Pflanzen, die die Erde überwuchern, die aus der Erde herausragen. Man ahnt hinter den Bäumen dunstige Fernen mit kleinen gleichmäßigen Flügeln, auch Berge, völlig zerklüftete, und das gotische Grün der Wiesen, die jetzt noch wie verbrannt aussehen. Im Gebrause der Autos ringsherum ahnt man die metallischen Straßen, die die Landschaften öffnen und zum Meer führen. Man ahnt glänzende Zylinder und hyperbolische Umrisse von Gebäuden, die unbekannten Zwecken dienen, bläuliche Fernsehtürme und die hellen runden Formen von Tanks und Silos, Komplexe von Ölraffinerien, weiße und mennigrote Kugeln, riesig und winzig zugleich. Das ist das eine.
Das andere ist: die unbeschreibliche Schwere des eigenen Körpers, der das alles wahrnimmt, der sich mit seiner Müdigkeit ganz vorn auf die Landschaft senkt, dieses ewige, rosa-grünliche, irisierende Fleisch mit seiner Schwermut, seiner Sterblichkeit und seiner Lust, das die Größe von Innenräumen und die Entfernungen in den Landschaften bestimmt. Der Körper, der immer dabei ist. Man möchte diesen ständigen Druck im Kopf in schwere Massen von Haar verwandeln, die Müdigkeit der Glieder in Stein, das Fleisch mit roten Bändern durchschneiden, die in violetten Schatten deutliche Verwesung mit Perlen verzieren, oder sich ganz zurückziehen: dahin, wo Säulen sind, gekachelte Fußböden, geometrische Blöcke, Dinge, die die Landschaft größer und zugleich kleiner machen; möchte nur im Vordergrund ein bißchen organischen Wirrwarr verteilen, sich an die Raupen und gekräuselten Blätter niederländischer Stilleben erinnern.«
Protokoll
9.00 Einnahme des LSD.
10.00 »Bin in euphorischer Stimmung, fühle mich zugleich müde und unklar. (Beginnt Blatt 1) Die Augen sind nicht koordinierbar; über allem liegt ein grauer Schleier. Kann nicht mehr dreidimensional sehen, habe ein ausgesprochen albernes Gefühl. Die Hand ist bleiern.«
10.30 »Mir fällt alles aus der Hand. Ich empfinde mich nicht mehr räumlich. Die Beine sind weich, mir ist schwindlig.«
10.40 Sie liegt auf der Couch. »Lachanfälle schütteln mich, daß der Bauch weh tut. Ich sehe alles klar, wie unter Wasser — überdeutlich und vergrößert. Möchte nur so liegen und vor mich hin lachen; es ist ein körperliches Lachen, das ich bis in meine Füße spüre. Bin dabei eigentlich gar nicht lustig. Habe einen üblen Geschmack. Mein Hals besteht jetzt aus zwei Säulen, ich spüre, daß sie mit silberner Flüssigkeit gefüllt sind, die auf- und absteigt. Das Sehen und das Körpergefühl sind jetzt getrennt. Ich sehe zwar die Dinge wie sonst, aber im Bewußtsein sind sie anders. Das Beobachten und Aufnehmen der Dinge ist nicht mehr lückenlos. Sehen und Wahrnehmen klaffen auseinander. Ich sehe Dich bewußter, aber nur bestimmte Aspekte; so sind die Farben Deines Hemdes sehr schön. Überhaupt wird jetzt alles Schöne wichtig! Der Stuhl dort hängt wie ein Bild im Raum - farblich ist das sehr schön. Aber ich bin in dieses Bild nicht mit einbezogen. Ich beobachte mich nur noch ganz von ferne, ich löse mich immer mehr auf.«
11.00 »Dein Hemd ist jetzt stumpf, besonders schön in der Farbe. Ich sehe jetzt alles als eine einzige Fläche. Ich bin ganz klar und habe auch ganz klare Empfindungen: überdeutliche sogar. Aber ich kann sie sehr schwer beschreiben, weil sie noch so neu sind. Das Rot und Blau der Stühle ist ja unverschämt. Ich muß das Rote ’raustragen. (Sie trägt alle Objekte, die Rot enthalten, also Stiefel, Stuhl und Tisch, aus dem Zimmer.) Dieses Gefühl des Roten ist so penetrant, es geht durch Finger- und Fußspitzen. Die Hals- und Kinnlinien empfinde ich als penetrant hart. Ein ehernes Körperempfinden!«
ii.io »Das ist wie bei Cranach: kleine runde Hälse! Dieser Akt hier: Das ist ein bestimmtes Körpergefühl, es teilt sich direkt mit, als sei es mein Körpergefühl, ein Gewicht, das nach unten zieht. Ich empfinde deutlich die Schwerkraft. Ich möchte sie mitteilen in diesem Bild, aber das geschieht ganz automatisch: Das Empfinden der Schwerkraft auf dem Bild ist etwas sehr Wichtiges. Eigenartig ist, daß eine Diskrepanz besteht zwischen dem, was ich denke, und meinen Figuren. Sie sind nicht räumlich, sondern ornamental, dabei aber schwer: Ich arbeite ständig daran, diese Schwere hinzubekommen.« ii.ij »Ich bin jetzt kosmisch entspannt, unheimlich glücklich; dieses Glücksgefühl durchströmt meinen ganzen Körper. Eine eigenartige Erotik der Oberfläche, aber unbewußt, liegt in der Haut; so, als fühlte ich nur meine Schale. Ich selbst bin gar nicht drin, ich bin wie ein Farbfoto. Die Wahrnehmung und die Berührung sind getrennt. (Wir betrachten ein Buch mit farbigen Abbildungen von Claude Lorrain.) Welche Landschaften - wenn man so etwas zusammenbrächte! Solche Weiten, nicht sfumato, unheimlich atmosphärisch, noch stärker als bei Leonardo! Eine noch realere, noch irrealere Atmosphäre!« (Dabei heftiger Lachkrampf. Sie wirft sich aufs Bett, schüttelt sich vor Lachen, stößt wiederholt mit den Beinen, bäumt sich krampfartig auf und verharrt einige Minuten in extremer Stellung: in abnormer Streckhaltung eine Brücke bildend, den Kopf weit nach hinten gebogen.)
»Es hat mit mir nichts zu tun, dieses Körpergefühl. (Sie betrachtet wieder ein Landschaftsbild von Claude Lorrain:) Da ist Duft von der Wirklichkeit und zugleich Duft von einer anderen Dimension. Ich schmecke diese Bilder, ich habe den Ton auf dem Mund: eine ästhetische Dimension.« (Beginnt Blatt 2)
11.25 Sie steht auf und bleibt in der Mitte des Zimmers stehen. Zunächst abwesender Blick, dann schluchzt sie, setzt sich, hält die Hände vor das Gesicht, weint. Die Physiognomie spiegelt Traurigkeit; aber während sie sich dem Bild zuwendet, hellen sich die Gesichtszüge auf. »Ich liebe diesen Lorrain sehr. Darauf liegt ein Firnis, gelblich, etwas fleckig; hauchdünne Schichten von Grün - ich nehme an,
das ist eine grüne Untermalung, darüber ganz dünne Erhöhungen. Entweder hat er in die Temperafarbe schon Ocker ’reingemischt oder Ocker mit in die Lasur. Das kann man natürlich auf der Reproduktion nicht mehr erkennen. Toll, diese Schichten - im Optischen — schwer zu sagen . . . (Sie spricht langsam, fast gequält, wirkt sehr konzentriert und ist ganz der Betrachtung hingegeben.)
. . . schwer zu sagen, es muß ein ganz zarter Farbauftrag sein. Das Licht liegt hinter all den Farben. Die Höhe der Tönung in bezug zum Lichtwert ergibt einen Kalt-Warm-Kontrast. Das ist es, was das Räumliche ausmacht - unglaublich aufregend! (Sie spricht mit langen Pausen, sehr versunken; die Stimme scheint zu verwehen.) Eigentlich stört mich, daß sich mein Körper so anfühlt. Der Körper ist von meinem Bewußtsein gelöst. Der Körper wird wahrgenommen. Das stört mich.«
11.35 »Warum nur solche Busen . . . Das Gefühl der Schwere - richtig schön schwer - das ist ja irgendwie das, was ich machen möchte. Der Federhalter ist zu leicht dafür. Es wird nicht richtig erotisch; ich weiß nicht, wie ich dies Gefühl nennen soll. Es liegt im Körper, ist aber nicht körperlich. Etwas ganz anderes als Sex. Sex - das ist Ekel und Gewalt. Meine Stimme ist eklig, ich höre mir selber zu. Ich will schon Erotisches - aber es ist schwer zu sagen, wenn man seine Gedanken und die Worte nicht richtig zusammenbringt. Meine Stimme klingt wie im Hörspiel, sehr unsympathisch! (Sie macht einen Tintenklecks auf die Zeichnung:) Oh, ein Klecks, ah ja! Scheiße! Ein Gefühl wie . . . (Sie beklagt Gedankenflucht.) Jetzt ein Gefühl wie nach einem sehr schönen Beischlaf. Ich mache der Frau einen Strumpf, wegen dem Klecks. Was mich krank macht, ist das Halten der Feder. Ich kann es nicht! Ich habe es nicht in der Gewalt. Scheißfeder! Das wird eine miese Geschichte - nicht einmal vom Einfall her interessant.«
11.40 »Die Kunst verändert nichts, sollte aber wenigstens Vergnügen machen. Ich spreche nur so nebenher, als wäre das alles nicht von mir. Erotisches ist als zentrales Erlebnis ständig in mir. Was für ein ästhetisches Erlebnis! Ästhetik soll nicht in die ästhetische Welt abgetan werden. Was immer man sieht, was man empfindet - der Körper muß mit dabei sein. Das Schöne muß auch körperlich nachzuempfinden sein. Erotisches betrifft alle Lebensbereiche, es ist ein Untergrund der Wahrnehmung.«
11.55 »Die braunen Linien sind jetzt hellblau. (Auf entsprechenden Vorschlag hin schließt sie die Augen:) Ich sehe ein rotes Tuch, das jetzt grau wird. Lauter Hohlkörper, die Außenseite von Schalen — aus grauen Schuppen, innen sind schichtweise angelegte Höhlen, die sich nach hinten verlängern. Jetzt Fratzen, grauenhafte Gesichter, bösartig und gemein. Aber es ist wie im Bilderbuch: Man kann über sie lachen, sie können einem nichts anhaben. Hier ist alles grün. Eine rote Mauer! Wurzelhafte Geschichten, halb Märchen, halb Kunstwerk, wie mein angefangenes Bild. (Sie betrachtet eine eigene Sepiazeichnung:) Darüber liegt ein kaltes Grün wie eine Lasur mit weißen Erhöhungen.«
12.15 Sie beginnt Blatt 3. »Auf weißem Papier liegen hellgrüne Flächen mit dunkelgrünem Rand. Es soll ein ganz großer Körper werden. Stärkere Farbveränderungen - jetzt rosa! Wenn ich einen Strich ziehe, glaube ich einen weiten Weg zu gehen . . . (sie zieht ganz langsam einen Strich) . ... nein, das dauert ja endlos - wochenlang. Ist sehr genußvoll wie das Dahingleiten eines Segelschiffes. (Sie beschreibt entoptische Erscheinungen:) »Es ist alles wie gemalt - gemalte Wirklichkeit, aber es sind Bilder, die um einen rundherum gehen, in denen man mittendrin sitzt. Die Hohlkörperdistel, fühlbare Körper, die Schwere des Körpers nicht mehr spürbar - Körper als Reibungen - Brüste hinter Brüsten - Schalen mit Disteln - Kakteen - Landschaften - Temperabemalung - staudig - Sonnenuntergang und Meer! Jetzt ein Christbaum mit lauter roten Flecken - Dattelpalmen mit ihrer Schwere stimmen das Ganze ein. Der Untergrund dieser Hohlform wird zum Negativ einer neuen Form — nach rückwärts gesprungene Eier wie bei Fabius von Gugel. . . Jetzt werden es Globusse!«
12.30 »Ich möchte nicht mehr aufstehen, nur noch schlafen. (Beginnt Blatt 4.) Wenn ich so zeichne, möchte ich an diesem Körper entlangfühlen. Es sind auch Lustgefühle dabei, aber nur manchmal! Sobald der Stift das Papier berührt, wird er dunkler, und was dann aus dem Bleistift ’rauskommt, ist wie Flüssigkeit, sehr schön, männlich-fruchtbar! Es soll ein ganz weißer Körper sein, darunter sind die Knochen spürbar — glänzend marmorn — ein Körper, der Mann und Frau zugleich ist. Alle sollen meinen Körper haben, auch wenn es Frauen sind. Der Körper ist flach, er geht plastisch in die Landschaft über - jetzt ist da nur noch Raum. Die grünen Dinger kommen wieder, die Fruchtblasen, Äste, grüne Äste und grüne aufgefächerte verschieden geformte Blätter . . . Jetzt bewegt sich der Vorhang! Entsetzlich, das macht furchtbare Angst. Das ist kein normaler Vorgang mehr, er hat eine ganz andere Bedeutung. Aber zugleich unheimliche Lust! (Sie schließt die Augen.) Blauer Himmel, Wald! Die Wand ist farbig umrändert. Ich hab’ ein rotes Gesicht. Alles relativiert sich, was vorher als Ganzes da war, ist nur noch ein Teil.«
12.45 "Ich sehe bei geschlossenen Augen ottonisch-gotische Ornamente — wie einen Schimmer. Das Papier bewegt sich, hat farbige Ränder, ganz zarte rosa Linien ... Ich mag meine Stimme nicht. Das Fenster steht so unheimlich in den Raum ’rein. Sehr gefährlich! (Lacht lange, kommentiert Blatt 4:) Das ist ein Körper, ja, ich stell’ mir das so vor: Ein schwerer weißer Berg sollte heranwachsen; Bauch, Brust und Popo zugleich, das Fleisch schlechthin. Jetzt ist aber etwas ganz anderes daraus geworden — dieser Arm ist so leicht. Immer kommen große grüne Flächen, dieses ekelhafte Grün. Die Decke ist so widerlich grün, die Lampe schief, der Raum ist ganz klein. Blau dagegen wird unheimlich schön; es wirkt ganz dunkel. Blau war nicht ohne Grund heilig.«
12. jo »Jetzt kommen die Wände auf mich zu. Es gefällt mir gut, einen göttlichen Arm zu zeichnen. Ein bißchen knochig muß er sein.«
13.10 Sie nimmt einen Spiegel, betrachtet sich darin: »Mit der soll ich mich anfreunden? Greulich - ich kann mir gar nicht vorstellen, daß jemand mit der ins Bett geht. Die Optik hinter dem Spiegel ist wirklich .. . greuliche Zähne! So habe ich mir das nicht vorgestellt: Ich sitze mir selbst gegenüber, aber anfreunden kann ich mich nicht mit mir. Ob ich mich wirklich so sehe,
extrahieren von daten wie ich mich jetzt sehe? Ich glaube, ich sehe sehr böse aus. Grauenhaft! Sag’ mal, sehe ich wirklich so aus?«
13.30 »So, wie ich mich jetzt sehe, ist überhaupt kein Spiegel dazwischen, sondern ich sehe mich wirklich mir gegenüber sitzen.«
13.50 Sie beginnt Blatt 5. »Ich sehe, daß das nicht gut wird. Ursprünglich wollte ich etwas Sexuelles machen: so ein Gebilde - ein zuvor weibliches Organ, dann einen Penis, dann ein Stüde Fleisch, auf das der Penis trifft . . . Jetzt ist es irgend etwas Birnenförmiges, ein Busen vielleicht, ja, ein Busen. - Immer habe ich das Bedürfnis, einen schweren Körper zu zeichnen. Parallel-Schraffuren machen mich direkt glücklich. Die Tusche wird golden. Meine Hand ist übergoldet. Meine Hand ist ganz leicht, aber meine Ausdrucksweise schwer: sie trifft nie ganz das, was ich sagen möchte.«
14.00 »Aber das Zwergerl da vorne! (Sie lacht auf, betrachtet einen kleinen Punkt:) Alles wird jetzt zu Wurzeln. Es sollen keine Wurzeln kommen, die sind zu eckig! - Man bekommt schon etwas geboten. Die lassen sich nicht lumpen! Ich weiß nicht, ob mir so etwas auch ohne die Droge einfallen würde, aber wahrscheinlich würde ich’s nicht malen. Höchst sexuell! Sauber! Jetzt wird alles lila. Das Zeichnen gefällt mir, an allen Enden verschwimmt und verschwindet es. Es ist schön, wenn die Feder so tanzt. Die Bildränder lösen sich rechts und links im Unendlichen auf. Aber das Blatt wird mies. Je später es wird, desto mehr Wert lege ich darauf, daß gute Dinge entstehen. Doch es wird nichts daraus. Das Blatt erscheint mir viel zu bunt.«
15.20 Der Versuchsleiter verläßt den Raum. Später beschreibt Gisela Breitling aus der Erinnerung die inneren Bilder bei Blatt 4 und 5, zeichnet dabei weiter: »Fleischmasse, Popo vom Tier - auch Mensch. Drinnen Vagina statt After. Sind jetzt zwei Rücken rundherum, ein Busen und zwei Armstümpfe, oder auch zwei Busen. Penis - wie sieht der aus? Wollen ihn mal rot kolorieren. Er bohrt sich in die zweite Brust — das sieht man aber nicht; es ist koitorisch, promiskuitorisch. Ist aber zugleich exhibitionistisch — noch fordernd, noch nicht befriedigt. Im Hintergrund wieder Meer und untergehende Sonne! Eine entscheidende Vorstellung ist: das In-sich-hineinschlingen, -hineinschliefen; gleichzeitig ein Ausgesetztsein - das ist der Mittelteil, über dem hier der rote Penis steht. Eigentlich sollte alles ganz schwarz sein, ist aber gar nicht schwarz geworden. Das Meer ist nur violett! — Gleichzeitig ist das Ganze aber auch eine Frau, die wartet.«
Zusammenfassung
Wie viele andere Künstler sah sich Gisela Breitling während des LSD-Versuchs vor die Alternative gestellt: Annahme der ästhetisierten Künstlichkeit oder Hinwendung zum Körperbetont-Sinnlichen. Die LSD-spezifische Manipulation mit dem Trend zur Ästhe- tisierung bedeutete für sie eine Herausforderung ihres Wunschdenkens: »Mein Hals besteht jetzt aus zwei Säulen, ich spüre, daß sie mit silberner Flüssigkeit gefüllt sind«, war das erste LSD-Vorstellungsbild, von dem sie berichtete. Ganzheitliches Erleben wird ihr besonders wichtig; sie beklagt den »schönen Schein«. Sehen und Körpergefühl bzw. Wahrnehmung, dann wieder Wahrnehmung und Berührung erscheinen ihr getrennt. Kunst verändere zwar nichts, »sollte aber wenigstens Vergnügen machen«, - und sie präzisiert auch, was sie darunter versteht: »Erotisches ist als zentrales Erlebnis ständig in mir - Ästhetik soll nicht in die ästhetische Welt abgetan werden der Körper muß dabei sein.« Fazit: Das Schöne müsse auch körperlich nachzuempfinden sein.
Ihre Bilder sind Vorlagen, die komplexe Erlebnisse im Betrachter stimulieren sollen: Sie regen gleichermaßen ästhetische wie auch psychisch-leibliche Vorstellungen an, die aber erst in ihrer kollektiven Wirkung auf den Betrachter ihren Zweck erfüllen. Gemäß dem bei ihr langsam, aber kontinuierlich an Tiefe gewinnenden Rauschgeschehen - in Bereichen des zweiten bis dritten Stadiums - beobachten wir Wandlungsketten ihrer psycho-ästhetischen Ausgangslage. Auf verschiedenen Bewußtseinsebenen präsentiert sich die gleiche psycho-ästhetische Problematik, wobei aber die neuen Erlebnisqualitäten zu neuartigen, verbalen und bildnerischen Aussagen führen. Zunächst bietet sich die durch das LSD in das Ästhetische (bzw. Ästhetisierte) ‘ver-rückte’ Welt als für die Probandin erfreuliche und in sich differenzierte Qualität an. Aber noch fehlt das Greifbare, Fühlbare; sie vermißt die dritte Dimension. Wie in einem Spiegel der Wünsche sind die Bilder flächig; alles, was sie erlebt, ist narzißhafl auf sie selbst bezogen. Es bleibt nur ein lustvoller Reiz an der Epidermis: Ich bin gar nicht ich - sagt sie sinngemäß -, ich bin wie ein Foto.
Der letzte Abschnitt des Versuchs ist gekennzeichnet durch eine merkbare Versenkung in das dritte Stadium - was durch das Alleinsein befördert sein mag. Noch tief im Dämmer gibt sie dann einen Kommentar, der die erlebte Symbolik rückübersetzt: sexuelle Stimulation und ihre Darstellung verschmelzen ineinander.
22 Gerhard Hoehme
7920 geboren in Greppin bei Dessau. 19J9 bis 1946 Soldat und Gefangenschaft. 1948 bis 1949 Studium an der Burg Giebichen- stein, Halle, bei Herbert Post; bis 19p: in Halle. 1942 Übersiedlung nach Düsseldorf, Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Otto Coester. Seit 1961 Professur an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf.
»Das Bild ist für mich ein Ding, auch wenn es ein transzendenter Raum ist. Es ist kein komponierter Ausschnitt von der Welt, sondern dinghaft in Heideggers Sinn vom ‘Ursprung des Kunstwerkes’. Es muß abgelesen oder abgetastet werden. Dabei wird und muß der Betrachter sich mehr und mehr in das Bild hineinbegeben und zu einer innigen Kommunikation mit ihm gelangen. Er soll nicht vor ihm bleiben und sich auf das rein optische Erleben beschränken. Da meine Bilder räumlich und psychologisch mehrschichtig angelegt sind, werden sie sich bei diesem Eindringen immer wieder verändern und neu im Betrachter entstehen.« (Gerhard Hoehme)
Einführung in den Versuch
Gerhard Hoehmes Erwartung an den Versuch, besonders die Phänomene des veränderten Raum- und Zeiterlebens im Hinblick auf seine künstlerische Konzeption zu testen und die Hoffnung auf einen möglichen Erfahrungszuwachs wurden früh enttäuscht. Die Raumverschiebungen waren verbunden mit dem Bewußtseinsaspekt, wie ein Spielball fremden Einflüssen ausgeliefert zu sein. Diese Ohnmacht, die Wirklichkeit passiv hinnehmen zu müssen, die »ekelhafte Seekrankheit« nicht abstellen zu können, die Todesängste, Nackenschmerzen und die Steigerung der Folter durch überwache Gespanntheit erinnerten ihn an seine Schockerlebnisse als Sturzkampfflieger im Zweiten Weltkrieg. Er hatte sich damals als ausgesetzt im unendlichen Raum empfunden, als Punkt unter Punkten. Zweimal wurde seine Maschine abgeschossen. Im Flugzeug habe es keinen Rückspiegel gegeben, so daß die Angst ihm buchstäblich ‘im Nacken saß’. In kurzen filmartigen Sequenzen spulten sich Reminiszenen daran wirklichkeitsnah ab. Hoehme konnte kaum Einfluß nehmen auf den Ablauf der ihn bedrängenden Ereignisse. Die unerträglichen Körper-Empfindungen blieben vorherrschend.
Hoehme über seine Malweise
»Aus der Zeit, in der ich Sturzkampfflieger war, stammt das Erlebnis des Raumes, das für mich später auf verschiedenartige Weise künstlerische Bedeutung gewann; vor allem in den veränderbaren Positionen sowohl der einzelnen Raumelemente als auch meiner Person. Geblieben ist von den bedrückenden Kriegserlebnissen immer noch ein gewisses räumliches Sehen, und zwar in einem ganz bestimmten physischen Zustand. Sowohl beim Arbeiten wie auch nachher beim Betrachten der Bilder sehe ich Flächen, Strukturen, Zeichen und Linien räumlich. Sie heben sich deutlich vom Blatt ab und stehen in fast rechnerisch definierbarem Abstand voneinander im ‘Bildraum’. Diese Anordnung ist natürlich variabel, und sie ändert sich auch mit der wechselnden Situation des Betrachters; entscheidend ist aber, daß ich die körperlichen Sensationen bewußt erlebe und sie auch dem Betrachter bewußt machen kann. Bereits wenn ich ein neues Blatt beginne, sehe ich die scheinbar leere Fläche als Raum. Auf der unbestimmten Endlichkeit des Blattes findet die suchende Hand Punkte - Fixpunkte. Dazu findet sich dann das Material, Stift oder Farbe, es entstehen Verdichtungen im Raum. Und jetzt beginnt ein Mal- oder Zeichenprozeß, der von Verstrickungen und Lösungen bestimmt wird. Diesen Raumproblemen bin ich so lange verhaftet, bis das Bild fertig ist: dann aber haben sie ihr Eigenleben eingestellt. Ich kann diesen Prozeß auch rückläufig durchleben, oder aber das Bild stellt eine Erkenntnisstufe dar, so daß von nun an neue Bereiche ins Blickfeld treten.«
Aus dem LSD-Protokoll
12.05 Der Versuch beginnt mit einer geringen Dosis LSD unter normalen Vorbedingungen. Am Vortage hatte der Proband beruflichen Ärger, so daß er in der Nacht schlecht schlief. Die erste Stunde zeigt einen durchschnittlichen Verlauf mit den üblichen Reaktionen von seiten des vegetativen Nervensystems.
13.40 »Starke Übelkeit. - Die Bilder werden wellenweise unscharf oder überdeutlich. Alle Flächen erscheinen plastisch. - Das Weiß eines großen neuen Bildes wird so grell wie mit Neon beleuchtet. - Die Personen sehe ich wie Schablonen, flächig.«
13.45 »Die Erscheinungen sind noch intensiver geworden, aber mit jeder Welle kommt ein sehr starker Brechreiz, dazu Übelkeit und ein äußerst heftiger Schmerz in der Magengegend. - Zeichnen ist mir völlig unmöglich. - Die Übelkeit ist ganz schlimm. Wenn die Welle abklingt, glaube ich bewußtlos zu werden. - Ich fühle mich von hinten bedroht, habe Schmerzen im Nacken. - Wenn ich eines meiner Bilder betrachte, erlebe ich Phänomene, die mir aus meinem Arbeitsprozeß wohl- bekannt sind. Einmal bin ich als Figur zentral im Bildgeschehen, einmal außerhalb. - Aber eines ist scheußlich: daß ich jetzt mit jedem Hervortreten von Details oder auch des ganzen Bildes ein wirklich unerträgliches körperliches Mißempfinden habe. - Die Erscheinungen, die das LSD jetzt hervorruft, das
Vor- und Zurücktreten von Raumelementen, die Form- und
Farbintensivierung, glaube ich fast zu kennen vom Arbeiten, wenn auch